Wer eine digitale Spiegelreflexkamera oder einen hochwertigen Diascanner sein Eigen nennt, hat in aller Regel auch Photoshop o.ä. und nutzt diese Anwendung unter anderem für perspektivische Korrekturen. Aber warum erst in Photoshop das Bild begradigen, wenn man es vor der Aufnahme machen kann?
Shiftobjektive sind praxistauglicher als ihr Ruf!
Zuerst wieder etwas Grundsätzliches: Objektive werden für einen bestimmten Bildkreis gerechnet. Der Bildkreis ist die Fläche, die sie nachher ausleuchten, also auf die sie nachher das Bild projezieren.
Auf dem linken Bild dieser Illustration sehen wir symbolisch die Fläche eines Kleinbildfilms mit etwa 24x36mm. Kleinbild-Optiken werden in aller Regel so gerechnet, dass sie diese Fläche ausleuchten, plus etwas Sicherheitsreserve. Die meisten Digital-Spiegelreflexkameras haben kleinere Sensoren und die Hersteller bieten speziell für den kleineren Sensor gerechnete Optiken an (EF-S bei Canon, DX bei Nikon, Di II bei Tamron, DC bei Sigma, 4/3 bei Olympus). Der Übersicht halber habe ich die kleineren Sensoren nicht in die Grafik eingezeichnet, sondern den etwaigen Bildkreis grau eingefärbt.
Auf dem rechten Bild sieht man, dass der Bildkreis eine Fläche ausleuchtet, die deutlich grösser als die Fläche des Kleinbildfilms ist. Das dürfte in etwa der Bildkreis eines Shiftobjektivs sein. Wie man sieht, könnte man den Film/Sensor innerhalb dieses Kreises locker nach oben und unten, auch ein ordentliches Stück nach links und recht und zur Not auch diagonal verschieben. Technisch gesehen ist der einzige Unterschied zwischen einem „normalen“ Objektiv und einem Shiftobjektiv der, dass man den Bildkreis verschieben kann.
Aber warum denn nun ein Shiftobjektiv? Ich stelle hierzu mal wieder Beispiele ein:
Die Funktionsweise habe ich mal eben auf die Schnelle illustriert. Die Grafik soll keine Schönheitspreise gewinnen, sondern den Effekt darstellen:Ein weiteres Anwendungsgebiet:
Dreht man den Tubus eines geshifteten Objektivs, so kann man es für Panoramafotos „missbrauchen“. Wünscht man ein Rundum-Panorama, so bringt einem das natürlich nichts, aber wenn man Panorama-Aufnahmen bevorzugt, die ein etwas augenfreundlicheres Format haben und noch Details und Bildgestaltung zeigen, anstatt zu einem bedeutungslosen Streifen zu verkommen, so ist das eine elegante Lösung ohne Parallaxenfehler, Krümmung im Bild oder sperrigen Nodalpunktadaptern im Gepäck.
Ein Shiftobjektiv, ein Shiftobjektiv, ein Königreich für ein Shiftobjektiv?
Königreiche kosten auch nicht mehr das, was sie früher einmal wert waren – soviel darf ich vorweg nehmen: Der Einstieg ist u.U. günstiger als man denkt und auf den professionellen Lösungen steht nicht unbedingt immer der Name des Kameraherstellers 😉
Mein erster Kontakt mit einem Shiftobjektiv fand auf dem Papier statt. Genauer gesagt auf einer Preisliste. Die aktuellen Tilt+Shiftobjektive von Canon kosten einheitlich 1.199,- € – dem Fotoamateur vergeht bei solchen Preisen recht schnell die Lust… und die Tilfunktion zur Schärfedehnung ist ebenfalls eine Spezialanwendung, die nicht unbedingt jeder braucht.
Man ist z.B. mit einer Canon-Kamera nicht nur auf Objektive mit Canon-Bajonett eingeschossen, sondern – den Adaptern sei Dank – auch für andere Systeme offen (Olympus OM, Contax-Zeiss, Leica-R, Nikon, M42, fast sämtliche Mittelformatbajonette), sofern man bereit ist, Arbeitsblendenmessung und manuellen Fokus in Kauf zu nehmen. Teilweise ist man damit sogar besser bedient als mit den Originalobjektiven. Nachdem ich hervorragende Erfahrungen mit einer manuellen Olympus-Optik (3.5/21mm) und zwei Zeiss-Objektiven (3.4/35-70mm, 2.8/28mm) gemacht habe, durchforstete ich den grössten Marktplatz der Welt – Ebay! Dort fanden sich Shiftobjektive von Nikon, Olympus, Schneider, Leica und einem mir bis zu diesem Zeitpunkt unbekannten Hersteller namens Arsat. Von letzterem stand eine Auktion eines 35mm Shiftobjektivs (gebraucht) kurz vor dem Zuschlag und da ich eh gerne experimentierte, setzte ich mein Höchstgebot auf 150,- € und bekam den Zuschlag für 97,- € incl. Versand. Dass die Optik ein Leica R Bajonett hatte, störte mich nicht – Adapter war ja vorhanden.
Der erste Eindruck, den das Arsat vermittelte, war nicht der Beste: kleine Einschlüsse, etwas Glaspilz und eine Verarbeitung dass man befürchtet, es könnte einem in der Hand auseinanderfallen. Der erste Einsatz in der Praxis verbesserte den Eindruck nicht unbedingt: bei Offenblende konnte man praktisch nicht „scharf“stellen, sondern nur den am wenigsten unscharfen Punkt erahnen, der Blendenring liess sich bei Aufnahmen in kühler Umgebung zunehmend schwerer bedienen und wackelte ziemlich böse. Die Ergebnisse entschädigten jedoch alles – bei Blende 8, 11 und 16 zeigte das Objektiv sehr gute Ergebnisse bis kurz vor den maximal angegebenen Shiftwerten (zwischen 7 und 11mm). An den extremen Rändern war die Leistung natürlich schon etwas schwächer (Schärfeabfall, stärkere chromatische Aberrationen), aber immer noch sehr beachtlich und praxistauglich, wenn man keine Vergrösserungen jenseits der 60x40cm anvisiert.
Mittlerweile bin ich im Netz schon ein paarmal über ähnliche Erfahrungen gestolpert, insgesamt soll das Arsat dem Nikon 35mm Shift überlegen und mit dem Olympus Zuiko 35mm Shift etwa gleichauf sein.
Auch von den anderen Herstellern gibt es die Shiftobjektive der 35mm-Klasse unter 300,- €. Soll es mehr Weitwinkel sein, so wird es leider schon teurer – das Nikon 28mm Shiftobjektiv bekommt man leider selten unter 400,- €, das Schneider PC Super Angulon 28mm im Regelfall nicht unter 1.000,- € und das brilliante Olympus Zuiko 24mm Shift steht leider sehr selten zum Verkauf, und niemals unter 1.500,- €. Shiftobjektive unter 35mm Brennweite sind konstruktionsbedingt deutlich teurer, weil bei noch niedrigeren Brennweiten die Verzeichnung für einen derart grossen Bildkreis erheblich schwieriger zu kontrollieren ist. Wohl dem, der ein Stück zurückgehen kann.
Workflow beim Einsatz eines Shiftobjektivs:
Das Objektiv macht natürlich seine Bilder nicht von selbst, es ist lediglich ein technisches Hilfsmittel, um das optimale Ergebnis erzielen zu KÖNNEN. Spinnt man diesen Faden weiter, so sollte man keine Scheu vor anderen Hilfsmitteln zeigen, womit ich das Stativ, die Wasserwaage und den Kabelauslöser meine. Insbesondere aber das Stativ, das buchstäblich eine solide Basis für die Bildkomposition bietet.
Weiterhin sollte beachtet werden, dass das Objektiv in Shiftstellung ganz gerne mal dem kamerainternen Belichtungsmesser einen Streich spielt. Die Belichtung sollte daher entweder gemessen werden, wenn das Objektiv nicht geshiftet ist, oder evtl. gleich durch einen externen Belichtungsmesser.
Wie immer gibt es natürlich nicht DIE richtige Methode, aber fürs Erste zeigt vielleicht mein persönlicher Workflow einen Ansatz für eigene Versuche:
- Motiv aussuchen, Bild im Kopf machen
- Das Motiv durch den Sucher betrachten, testweise shiften, um zu sehen ob der Shiftweg reicht oder die gewünschte Perspektive erzielt werden kann. Dies darf ruhig freihand vorgenommen werden
- Shift wieder zurück auf Nullstellung, Kamera auf das Stativ, Fokussieren, ggf. Polfilter einstellen
- Schliessen der Blende bis zum gewünschten Wert, Belichtungsmessung am „stürzenden“ Motiv (Shift in Nullstellung!), Belichtung merken oder speichern, ggf. nochmal nachfokussieren
- Stativ einstellen (die Wasserwaage ist Dein/Ihr Freund!), Objektiv wieder shiften
- Belichtungszeit kontrollieren, abdrücken!
Shiftobjektiv am Limit:Auch ein Shiftobjektiv kann nicht zaubern… fotografiert man hochkant bei voller Ausnutzung des Shifts (11mm), so wird man buchstäblich in die Ecke gedrängt – die Bildecken im oberen Bildbeispiel sind an den Grenzen des Bildkreises angekommen. Hierbei handelt es sich nicht mehr um herkömmliche Vignettierung, die durch Abblenden beseitigt werden könnte – dieses Bild wurde bei Blende 16 aufgenommen. Hier ist der Bildkreis definitiv zuende, auch mit Photoshop können aus den schwarzen Ecken keine Details mehr extrahiert werden. Trotz der Ausnutzung des vollen Shiftweges musste die Kamera noch leicht gekippt werden – die stürzenden Linien ließen sich hier nicht ganz vermeiden (konnten jedoch duch das Shiftobjektiv in erträglichen Grenzen gehalten werden). Das Szenario kennen wir aus den oberen Beispielen: Könnte der Bildkreis noch weiter verschoben werden, so wäre das kippen nicht nötig und aus dem unteren Bildteil könnten die störenden Häuser zumindest teilweise „rausgeschoben“ werden.
Ausserdem verlieren Objektive zum Randbereich hin an Auflösungsvermögen. Ich habe rechts neben dem Bild zwei 100%-Ausschnitte eingestellt. Wir befinden uns hier auf der Pixelebene, jedes dieser Bilder stellt in etwa 0,5 % der Gesamtfläche der Aufnahme dar. Erstaunlich, wie viele Details die vermeintliche „Russenscherbe“ in der Bildmitte (unten) liefert. In der oberen Aufnahme ist es mit der Schärfe schon nicht mehr so weit her, die Kanten wirken schon leicht verwaschen. Nicht ohne Grund ist für Hochkantaufnahmen ein Shift von maximal 7mm empfohlen (Markierungen sind auf dem Objektiv abgedruckt). Beide Ausschnitte entstammen dem selben Ursprungsbild und der selben Bearbeitung (nur leicht geschärft).
Mein Tipp: Abhilfe würde hier nur ein erweiterter Shiftbereich schaffen. Und den erhält man derzeit eigentlich nur mit zwei Optionen: Dem Zörkendörfer Panorama-Shift-Adapter (PSA) und dem Mirex-Adapter. Auf den ersten Blick sind sie zwar für Adapter nicht billig, aber er ist eine lohnende Investition in die kostengünstige, aber doch hochqualitative künftige Erweiterung des Equipments und dessen Möglichkeiten. Einer Kleinbildkamera werden damit die Türen für das Bajonett der Mittelformatobjektive von Pentax, Hasselblad oder Mamiya geöffnet, welche gebraucht teilweise sehr günstig zu haben sind. Mittels dieser Adapter kann man sich sehr günstig ein breites und beliebig erweiterbares Sortiment an Shiftobjektiven ab 35mm Brennweite aufbauen, welche man dann um bis zu ca. 20mm shiften kann (10-12mm bei normalen Shiftobjektiven). Der Mirex-Adapter ist etwas weniger sperrig, optional mit Tilt-Funktion zu haben und trotzdem noch billiger als der Zörkendörfer-Adapter.
Möglicherweise ist der Umbau eines vorhandenen Objektivs eine Alternative für einen Bastler mit viel handwerklichem Geschick und dem entsprechenden Sachverstand: in der Theorie würde es reichen, die optischen Komponenten vom Bajonett zu trennen und ein Schienensystem für die Verschiebung einzubauen (evtl. extern), solange die Linsen in ihrer Position gehalten werden, die Blendensteuerung sowie das Fokussieren zumindest manuell noch möglich sind und das Auflagemass unverändert bleibt. Mit grosser Wahrscheinlichkeit ist die Folge der Verlust der Automatikfunktionen wie autom. Springblende und Autofokus. Bitte beachten: Dies ist nur ein theoretischer Denkansatz und sollte nicht als Aufforderung zur Vergewaltigung des Objektivbestandes verstanden werden! Wer keine Ahnung davon hat: FINGER WEG – wenn es nicht klappt, ist das ehemalige Objektiv nur noch ein wertloser Haufen Glas und Metall! Wer Ahnung davon hat, muss selbst einschätzen können, ob es bei ihm klappt oder nicht – ich übernehme keine Verantwortung.
Fazit:
Ich persönlich war bis Ende 2005 mit den Möglichkeiten, die Photoshop für perspektivische Korrekturen anbietet, nie wirklich zufrieden… hab aber hier und dort mal notgedrungen damit gearbeitet. Seit ich jedoch ein Shiftobjektiv in die Hände bekommen habe, fanden die besagten Photoshop-Funktionen keinerlei Verwendung mehr. Shiftobjektive sind nicht tot – sie sind lebendiger denn je zuvor, und das dank ihres vermeintlichen Mörders… der EBV. Diese kann ihre Stärken erstrecht mit einem Bild ausspielen, das bereits „aus der Kamera heraus“ verwendbar ist. Mit einer guten Digital-Spiegelreflexkamera, einem Shiftobjektiv und etwas Zeit kann eine Bildqualität erreicht werden, die fast schon Mittelformat-Niveau liegt – abhängig von der Digitalkamera bzw. vom Film evtl. sogar mehr. Die innovativste Lösung bietet Zörkendörfer – dem Architekturfotografen wird die Möglichkeit eines um 20mm shift-baren 35mm-Objektivs geboten – wenn er ein Stück zurückgehen kann, wird er auch an längeren Brennweiten seine Freude haben. Zweiteres gilt auch für den Landschaftsfotografen, der mit Bedacht ein leichtes Panorama erstellen will. Dieser hat die Möglichkeit, ohne Weiteres ein Panorama mit doppelter oder dreifacher Auflösung anzufertigen – ohne die Parallaxenfehler oder Verkrümmungen, wie sie durch eine Drehung des Stativkopfes bedingt wären und ohne Auflösungsverlust, der aus der Beschneidung einer Einzelaufnahme resultieren würde.