Im Großen und Ganzen hat der Kameramarkt der vergangenen Jahre keine wirklichen Innovationen hervorgebracht. Hier mal ein besserer Autofokus, dort mal mehr Megapixel – Modellpflege eben, nichts, was den Markt aufrütteln sollte. Bis Sony seiner Vollformat-Spiegellosen die Siebenmeilenstiefel angezogen hat…
Was ist an der A7RII sooo*lufthol*hoooooo besonders?
Der BSI-CMOS-Sensor
Back Side Illuminated ist das Zauberwort. Schonmal im Tierpark durch nen Drahtzaun fotografiert? So in etwa funktionieren die meisten Kamerasensoren – die Verdrahtung ist mitten im Bild. Sie wirkt sich zwar nicht so klar sichtbar wie der Hasendraht aus, aber sie schluckt Licht, und das nicht zu knapp.
Mit BSI verlegt Sony die Leitungen hinter den Sensor, wodurch mehr Licht am Sensor ankommt. Vor allem auch mehr schräg einfallendes Licht. Möglicherweise steht hierdurch so manche E-Mount-Optik bezüglich auf die Abbildung am Rand und in den Ecken künftig etwas besser da als jetzt. Auf jeden Fall dürfte selbst bei der doch recht hohen Auflösung von 42 (zweiundvierzig! Die Antwort auf das Leben, das Universum und den ganzen Rest!) Megapixeln ein richtig gutes Rauschverhalten zu erwarten sein, das werden Tests zeigen müssen. 4K-Video gibts oben drauf, praktisch für den, der es braucht.
Was den Sensor angeht wäre ich nicht überrascht, wenn er in Kürze auch von Nikon – seines Zeichens schon länger Sony-Kunde – verbaut würde.
Der Autofokus
Eine Unart der Spiegelreflexen ist die Verteilung der AF-(Phasendetektions-)Sensoren, die sich immer schön um die Mitte herum anordnen. Bei Sonys Spiegellosen waren diese schon länger über das gesamte Bild verteilt, allerdings nur zu aktivieren, wenn eine für E-Mount ausgelegte Optik montiert war. Selbst bei Fremdoptiken macht die A7RII nun aber keinen Unterschied mehr – die Geschwindigkeit soll auf Augenhöhe mit den E-Mount-Objektiven sein. Auch ein Schmankerl: der Phasen-AF soll bis -2 EV arbeiten – das entspricht in etwa einer Vollmondnnacht und ist auf Augenhöhe mit einer EOS 1DX / 5D MkIII oder einer Nikon D800 / D4. Ach ja, wir reden von nicht weniger als 399 Phasen-AF-Sensoren! Ja, es sind tatsächlich unter 400 😉 Zum Vergleich: die Canon EOS 1DX hat 61, die Nikon D4 immer noch beeindruckende 51 Punkte. Ob die Treffsicherheit mit knapp 400 kleinen AF-Feldern besser ist, als mit 50 großen, wird sich sicherlich bald zeigen.
Da die Sensoren im Gegensatz zu einer Spiegelreflex direkt auf dem Bildsensor sitzen, müssen sie nicht aufeinander abgestimmt werden. Ein manuelles Kalibirieren einzelner Objektive dürfte nicht nötig und das System insgesamt weniger empfindlich sein (wer schonmal einen Spiegel nachjustieren lassen musste, weiss, wovon ich rede).
Der Bildstabilisator
5 Achsen. Für jedes Objektiv, kameraseitig verbaut. Mehr muss nicht gesagt werden.
Die A7RII als Universalempfänger
Ich adaptiere gerne. Sehr gerne sogar. Wenn ich eine gute Optik günstig bekommen kann, verzichte ich dafür gerne auf Komfort, denn der ist in den Bildern nicht zu sehen. Bis zum Erscheinen von Sonys A7-Serie war die Canon EOS in Sachen Adaptierbarkeit wegen ihres üppigen Bajonetts und des geringen Auflagemaßes das Maß der Dinge.
Den Rang hat Sony Canon inzwischen klar abgelaufen… das Auflagemaß ist noch geringer, wodurch teilweise sogar Messsucherobjektive, z.B. Leica M, mit kleinen Randproblemen (die durch BSI möglicherweise ausgebügelt werden?), mittels geeigneter Adapter verwendet werden können. Und, das ist das Ironische, selbst Canon-EF-Optiken – inklusive Autofokus, Blendensteuerung und EXIF-Daten. Der Autofokus hat jedoch bisher nur auf Kontrastebene und somit sehr langsam funktioniert. Die A7RII mit ihrem „toleranten“ Phasen-AF dürfte das ändern… der ehemalige Universalempfänger wird zum Spender für ein neues System. Im Gegensatz zu Canon kokettiert Sony inzwischen auch damit.
No Body is perfect…
… gilt auch für diesen Body. Die Akkuleistung der bisherigen A7-Serie verheißt auch hier keinen Marathonläufer. Dass nur eine Speicherkarte Platz findet, ist in dieser Preisklasse inzwischen eher unüblich. Die Entscheidung gegen ein festes Display ist gut, Sonys Art dies umzusetzen hingegen fast schon traditionell gewöhnungsbedürftig. So mancher hätte vielleicht auch gerne einen Touchscreen, ich kann gut und gerne darauf verzichten. Kabelauslöser nimmt die Kamera über die (vertiefte) Micro-USB-Buchse entgegen… was bei den meisten L-Winkeln wieder für Ärger sorgen wird, wenn man im Hochformat mit Kabelauslöser arbeiten will. – Eine gewinkelte USB-Verlängerung funktioniert hierfür nicht, da sie die Pins des Auslösers nicht durchleitet. Ach ja, Hochformat und Sony ist generell so eine Sache: Der Batterie-/Hochformatgriff ist auch nicht gerade ein Musterbeispiel an Stabilität. Und – was mich persönlich am meisten stört – die verlustbehaftete Kompression der RAW-Dateien, so lässt Sony wohl wieder einmal ein paar PS ungenutzt.
Fazit…
…soweit das durch die Glaskugel überhaupt möglich ist: Es gibt wohl ein neues digitales Universalrückteil. Mit der A7RII hat Sony an den richtigen Stellen angesetzt, um erfolgreich im Lager der Canon-Kunden wildern zu können. Was der BSI-CMOS-Sensor drauf hat, wird sich im August zeigen… hält er aber das, was er verspricht, hat Sony im Segment der ausgabefreudigeren Amateure und vielleicht auch beim einen oder anderen Profi zum ersten Mal einen echten Vorsprung. 3.500 Euro ist viel Geld, aber echte Innovationen waren gerade im Vollformatsektor noch nie ein Schnäppchen. Ich persönlich werde fürs Erste noch bei meiner 4 Jahre alten Canon bleiben, erste Erfahrungen mit Sonys neuem Wunderknaben und die weitere Preisentwicklung beobachten sowie ein Firmware-Update bezüglich der RAW-Dateien abwarten.